Als Sohn eines Uhrenfabrikaten und einer Uhren-Bijouterie Inhaberin bin ich schon früh vom Uhrenvirus infiziert worden. Ich stamme aus einer alt eingesessenen protestantischen Basler Familie mit diversen Goldschmieden und Theologen als Vorfahren. In der Wohnstube meiner Grosseltern war eine grosse Bilderwand meiner Familienangehörigen. Vielleicht habe ich mich deshalb schon früh für meinen Stammbaum interessiert…
Als ich 1992 ein Thema für meine Diplomarbeit als Uhrmacher-Rhabilleur suchte, besuchte ich das kleine Uhrenmuseum im Haus zum Kirschgarten in Basel. Ich wusste gar nicht, dass dort auch alte Uhren ausgestellt waren. Die Uhrenausstellung ist nur ein kleiner Teil im grossen Gebäude des Seidenband Fabrikanten Johann Rudolf Burckhardt (1750-1813) und gehört zum Historischen Museum Basel.
Als ich im seitlichen Untergeschoss am stöbern war, fiel mir eine alte Uhr ohne Gehäuse auf, das mit «früheste bekannte Uhr mit einer Hemmung mit konstanter Kraft» und «Konstruiert von Johann Jakob Huber und Thomas Mudge» beschriftet war. Thomas Mudge war mir als Uhrmacher bereits ein Begriff, aber von diesem Huber wusste ich damals noch nichts. Als ich dann herausgefunden habe, dass ich mit diesem Huber sogar direkt verwandt bin, wusste ich, dass dies das Thema für meiner Abschlussarbeit sein würde.
Hier ein kleiner Auszug der Diplomarbeit von 1993:
Bei der wissenschaftlichen Englandreise 1754 schrieb Johann Jakob Huber am 19. Oktober 1754 in Croydon ein Memorandum über die Bestimmung der geographische Länge auf See. Seine Idee beruhte auf der bekannten Idee durch einen Zeitvergleich zwischen der Zeit eines bekannten Ortes und der Lokalzeit auf See die geographische Länge zu berechnen. In seinem Bericht machte er sich auch Gedanken über eine Hemmung mit konstanter Kraft und andere Uhrenbestandteile.
Im Frühling 1755 besuchte Huber in Oxfort die Vorlesungen von Dr. James Bradley und übergab diesem sein Memoire über die geographischen Längen, das durch J.L. Wettstein vom französischen ins englische übersetzt wurde. Bradley war von den Ideen von Johann Jakob Huber beeindruckt und meinte sogar das seine beschriebene Hemmung einfacher wäre als die von John Harrison. Durch Bradley nun aufgemuntert wagte sich Huber sich mit dem wahrscheinlich besten Uhrmacher Londons, Thomas Mudge (1715-1797), Kontakt aufzunehmen, den er sogleich mit der Anfertigung seines Modells beauftragte.
Thomas Mudge bemühte sich stets um die Verbesserung der Ganggenauigkeit seiner Uhren. Er gehörte zu den Uhrmachern, die überzeugt waren, dass das Geheimnis der Ganggenauigkeit vor allem im Gleichmass der Antriebsenergie zu suchen sei, und somit auch jede Mühe und jeder noch so komplizierte Mechanismus gerechtfertigt sei, um dieses Ziel zu erreichen.
Dazu ordnete Mudge gemäss Hubers Anordnungen zwischen Zugfeder und Hemmung eine Zusatzfeder, die in kurzen Zeitabständen die Uhr nachspannt und somit ein stetiges Drehmoment übertragen wird. Man nennt eine solche Hemmung eine Hemmung mit konstanter Kraft, obwohl sie keine Hemmung, sondern nur deren Vorspannwerk ist. Auf englisch heisst dieser Mechanismus „constant force escapement“ oder auch „remontoire“. Auf französisch bezeichnet man den Mechanismus „remontoir d’égalité“. Im deutschen Sprachgebrauch redet man von einem „Nachspannwerk“.
Beim gemeinsamen Werk von Johann Jakob Huber und Thomas Mudge handelt es sich um einen sogenannten Versuchschronometer, der kein Temperaturkompensationsmechanismus aufweist. Huber hat in seinem Memorandum auch eine Temperaturkompensation vorgeschlagen, doch riet ihm Mudge vom Bau dieser Kompensation ab. Es sind keine Dokumente erhalten, die eine eingehende Prüfung des Huber/Mudge Chronometers bezeugen. Er ist als 8-Tage-Chronometer konzipiert und mit einem Regulatorenzifferblatt versehen, dies lässt erahnen, dass Huber einen Chronometer bauen liess um diesen für astronomische Messungen zu verwenden. Da Huber im Herbst 1755 an den Hof von Friedrich dem Grossen (alte Fritz) nach Potsdam/Berlin als Professor der Akademie der Wissenschaft und deren Astronom berufen wurde, brach er seine vielversprechende Englandreise vorzeitig ab. Wer weiss was aus der Paarung Mathematiker Huber und Uhrmacher Mudge hätte werden können.
In der Biographie von Dr. phil. J.h. Graf aus Bern wird immer wieder die Frage gestellt, ob vielleicht Huber die auslösenden Ideen für die von Mudge später entwickelte erste freie Ankerhemmung gegeben haben könnte. Die „Beweise“ dafür sind aber nur Interpretationen aus den Tagebuchnotizen Hubers. Meines Erachtens hat Johann Jakob Huber den älteren Thomas Mudge sicher inspiriert mit seinen Überlegungen, aber die Idee für die Erfindung der freien Ankerhemmung kam wahrscheinlich ohne ein Beitrag Hubers, denn dieser war während seiner Reise durch England sicher mit den Chronometer-Problemen vertrauter geworden, aber er arbeitete in England gleich an mehreren astronomischen Problemen und konnte dadurch den jahrelangen fachlichen Vorsprung Mudges nicht aufholen, den es sicher für eine solche Erfindung braucht.
In der erwähnten Huber Biographie meint Dr. Graf, dass Huber 1780 nach England zurückgekehrt ist um „seiner Erfindung des freien Echappements den nötigen Erfolg zu sicher, denn stets hat er an der Verwirklichung seiner Ideen gearbeitet“. Aber auch hier habe ich in den Unterlagen des Staatsarchivs und der Universitäts-Bibliothek keine Hinweise gefunden, die dies belegen können.
Huber hat sich aber mit dem ersten Chronometer von Mudge auseinander gesetzt und auch, ergänzend zu Hornsbys und Nevil Maskelynes (1732-1811) Messungen, eigene Gangmessungen am Chronometer vorgenommen.
Entgegen anderer Behauptungen möchte ich noch erwähnen, dass sich Huber, gemäss den Unterlagen in der Universitätsbibliothek Basel, sehrwohl mit mechanischen und longitualen Problemen in Basel auseinander gesetzt hat und dass er trotz seiner jungen 22 Jahren, die er in England hatte, durchaus kein mathematischer Naseweis mehr war. Auch nach seiner Englandzeit beschäftigte sich Huber mit dem Problem der Längenbestimmung auf astronomische Weise, jedoch ohne grösseren Erfolg.
Stil
Den Huber/Mudge Versuchschronometer bezeichnet man von seiner Form her als Stock- oder Stutzuhr. Im Verhältnis zu den Bodenstanduhren sind Stockuhren kurz und scheinbar gestutzte Standuhren, die auf Tische, Kommoden, Kamine, Borde usw. gestellt werden. Im 16. und 17. Jahrhundert werden sie auch Stötzer genannt. Die Begriffe Stock- und Stutzuhr werden meist synonym gebraucht. In England sind Stockuhren eher von etwas einfacherer Bauform (vor allem In Holzkasten), während als Stutzuhren Uhren mit eleganterer und aufwendigerer Form bezeichnet werden.
Uhrwerk
Das Räderwerk hat die Aufgabe, die durch das Aufziehen der Zugfeder gespeicherte Antriebskraft mit Hilfe einer Kombination aus mehreren Rädern und Trieben auf den Gangregler zu übertragen.
Das Uhrwerk des Huber/Mudge Chronometers zeugt von grossem technischen und handwerklichen Könnens des Herstellers. Jedes Bestandteil des Uhrwerks ist mit äusserster Sorgfalt bearbeitet worden. Alle Brücken weisen abgerundete Kanten und abgeschrägte Ecken auf. Das Vollplatinenwerk hat zwei nicht vergoldete Messingwerkplatinen von 14 cm x 13,8 cm und misst zwischen den Werkplatinen 5 cm. Es wird durch fünf Messing Säulen oder Pfeiler getragen. Die Pfeiler sind vasenförmig gedreht, in der unteren Werkplatine vernietet und in der oberen verstiftet.
Der gesamte Aufbau ist sehr stabil.
Zifferblatt
Das versilberte Zifferblatt (14 cm x 13,8 cm) aus Messingblech, ist in der Richtung von oben nach unten (von 30 nach 60) poliert und hat ein für Astronomische Präzisionsuhren übliches, für Marinechronometer aber eher selten verwendetes Regulatoren-Zifferblatt.
Die Einteilung des Zifferblattes lässt erkennen, dass der Chronometer vor allem für die astronomischen Messungen Hubers konstruiert wurde und nicht primär als Forschungsobjekt zur Verbesserung der Präzision der damaligen Chronometer galt.
Im Zentrum ist der grosse Minutenkreis, indem als Nebenzifferblätter oben der Sekundenkreis und unten eine 12 Stundenscheibe angeordnet sind. Das Zifferblatt ist durch Pfeiler auf die obere Platine aufgesetzt und von der Frontseite her mit vier Stahl Schrauben verschraubt. Die Ziffern auf dem Frontzifferblatt und auf der Stundenscheibe sind graviert und geschwärzt.
Zeiger
Der fein gebläute Stahlzeiger für die Minuten, durch den englischen Uhrmacher Daniel Quare (1649-1724) 1691 eingeführt, befindet sich im Zentrum des Zifferblattes. Der Minutenzeiger endet bei seinem Rohr, ist auf einem Vierkant verstiftet und drückt zusätzlich mit einer Messingunterlagsscheibe die Minutenradwelle nach unten. Der Zeigerkopf ist polierten.
Auch der kleinere Sekundenzeiger ist aus gebläutem, vermutlich auch gehärtetem Stahl und über das Rohr hinaus verlängert und auf das Zapfenende des Sekundenrohres aufgedrückt. Das Sekundenrad sitzt auf einer Welle die auf die vordere Werkplatine aufgeschraubt ist.
Die Stundenanzeige ist auf einer versilberten Messingscheibe mit zwölfer Einteilung. Die Stundenscheibe ist ein Bestandteil des Zeigerwerks. Für astronomische Messungen wäre wohl eine 24 Stundeneinteilung praktischer gewesen.
Zeigerwerk
Das Zeigerwerk des Huber/Mudge Chronometers ist ähnlich wie in der Stutzuhr von Mudge um 1760 und deshalb speziell, weil das 1 Grundlaufrad trotz einer Umdrehung in der Stunde nicht im Zentrum des Werkes angeordnet ist. Das Zeigerwerk ist wie folgt aufgebaut:
Das Zeigerwerk ist in zwei Gruppen aufgeteilt. In der einen Gruppe wirken Stundenwechseltrieb, Stundenscheibe, Minutenwechselrad und Minutenrad mit, in der anderen Gruppe das Sekundenwechselrad und das Sekundenrad. Auf der Achse des 1. Grundlaufrades sind das Stundenwechseltrieb und das Minutenwechselrad aufgesetzt und verstiftet. Das Stundenwechseltrieb ZW1 greift in die Stundenscheibe ZW2 auf der eine 12er Einteilung eingraviert ist und die Stunden anzeigt. Das Minutenwechselrad ZW3 greift in das Minutenrad ZW4. Das Minutenrad sitzt auf einer Welle, der Minutenradwelle, die an der vorderen Werkplatine angeschraubt ist. Auf dem Minutenrad ist ein Rohr, das auf der Minutenradwelle sitzt und an seinem Ende durch einen Stahlstift geschlossen ist. Auf dem Stahlstift wurde der Minutenzeiger aufgedrückt und verstiftet.
Das Sekundenwechselrad ZW5, das auf der Welle des Hemmungsrades aufgedrückt ist, greift in das Sekundenrad ZW6. Das Sekundenrad sitzt wie das Minutenrad auf einer Welle, der Sekundenwelle, die an der vorderen Werkplatine angeschraubt ist. Auf dem Sekundenrad ist ein Rohr, das auf der Sekundenradwelle sitzt und an seinem Ende durch einen Stahlstift geschlossen ist. Auf dem Stahlstift wurde der Sekundenzeiger aufgedrückt…
Johann Jakob Huber (* 27.08.1733 Basel, † 21.08.1798 Gotha). Sohn des Johann Jakob, Kaufmanns. 1758 Rosina Rohner, von Basel. Schüler von Daniel und Johann Bernoulli. 1753 Promotion in Philosophie. 1754-55 Stud. als disciple intime bei James Bradley in Greenwich (England). 1756 Berufung als Prof. der Astronomie an die Berliner Akad. und Ernennung zu deren ordentl. Mitglied. Ab 1758 Privatgelehrter in Basel. H. stand im wissenschaftl. Briefwechsel mit Jacques-Barthélemy Micheli du Crest. Er gilt als Erfinder der freien Hemmung (echappement) mit konstantem Antrieb bei Uhren, die bewirken soll, dass die Unruhe mit Ausnahme des vom Triebwerk aus erteilten Stosses möglichst frei von Druck und Reibung bleibt. Zusammen mit Thomas Mudge konstruierte er eine solche Uhr, mit der er etwa gleichzeitig wie John Harrison die geogr. Länge auf See bestimmen wollte.
Thomas Mudge (* 1715 in Exeter; † 1794) war ein englischer Uhrmachermeister und der Erfinder der freien Ankerhemmung. Mudge wurde 1715 als Sohn des Pfarrers Zachariah Mudge geboren. Im Alter von 14 Jahren trat er eine Lehre bei dem berühmten Georg Graham an. Nach Grahams Tod übernahm er dessen Geschäft in der Fleet Street 148 in London. 1757 erfand er eine Ankerhemmung, mit der noch heute der größte Teil der mechanischen Armbanduhren ausgestattet ist. Er fertigte für Königin Charlotte eine Ankertaschenuhr. Er war einer der ersten, der mehrere Edelsteinlager in Uhren einbaute. Von 1771 an arbeitete er an der Entwicklung der Chronometergänge, die er verbesserte. Er fertigte ein Seechronometer an, das er 1774 den Behörden vorlegte und erhielt dafür einen Preis von 3’000 englischen Pfund zugesprochen. Mudge arbeitete auch für König Georg III. von England (1776). Er gründete mit Dutton 1755 eine Partnerschaft. 1771 ging er nach Plymouth. Seine mit William Dutton gemeinsam geführte Firma in London bestand von 1755 bis 1790, so dass anzunehmen ist, dass er sich nach Plymouth zurückzog, um sich mehr der Forschungsarbeit widmen zu können; denn um diese Zeit arbeitete er an den Seechronometern, und in einer Hafenstadt wie Plymouth konnte er diese sicherlich erproben. Er hat sich auch als Schriftsteller über Taschenuhrentechnik hervorgetan.
Auszug aus der Abschluss Diplomarbeit von Patrik-Philipp Huber
an der Schweizerischen Uhrmacherschule in Solothurn von 1993